Es ist noch sehr früh am Morgen. Und es ist noch sehr still um diese Zeit. In Kürze würde die Sonne aufgehen. Irgendwo kräht ein Hahn.
Ich sitze zu Füßen einer großen goldenen Buddha-Statue an einem Ort, der sich Phra Yai nennt und der hier auf der Insel Samui besser unter dem Namen „Big Buddha“ bekannt ist.
Eine andächtige Stille ruht über der Tempelanlage. Vereinzelt kommen Mönche verschlafen aus einem der Tempelgebäude, ihre safrangelben Roben um sich schlingend. Ein streunender Hund bellt und von irgendwoher antworten ihm eine Reihe von Artgenossen.
Tiefer Friede umgibt mich. Die ersten Thais erscheinen, beten und bringen ihre Opfer. Ich betrachte das Gesicht Buddha's. Es ist ein offenes Gesicht, das Ruhe und Würde ausstrahlt.
Ganz langsam erwacht dieser kleine Teil des Universums und mir ist, als würde die Sonne Leben in diese zirka 15 Meter hohe Buddha-Statue hauchen. Die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne treffen auf das Gesicht Buddha’s und es ist mir, als würde dieses Antlitz lächeln.
Ich bin kein Buddhist im herkömmlichen Sinn, aber dennoch spüre ich die Kraft, die von dieser Religion ausgeht, sobald ich diesen Ort hier betrete.
Ich spüre Sanftmut und denke an Dinge wie die „Überwindung der Daseinsgier“ als eine der vier Wahrheiten, die den Buddhismus bestimmen. Ich verneige mich, um dieser Religion Respekt zu erweisen.
Noch sind die vielen Stände, die kleinen „Shops“ und die Restaurants, die wie ein Jahrmarkt die Tempelanlage umgeben, geschlossen. Doch bald würde auch hier reges Treiben herrschen.
Der Tag erwacht.
Omnibusse tauchen auf, dutzende von Fremden, Touristen aller Herren Länder, sie alle wollen „Big Buddha“ sehen.
Der Jahrmarkt beginnt, und unbekümmert zerreißt er die Stille dieses Ortes.
Den ganzen Tag über herrscht von jetzt an ein Kommen und Gehen und viele betreten respektlos – wenn auch unbewußt – mit Schuhen die geweihten Stufen, die hoch zur Statue führen.
Ich verlasse „Big Buddha“.
Es ist später Nachmittag, als ich nochmals hierher zurückkehre. Ruhe ist wieder eingekehrt. Dunkle Wolken sind aufgezogen und es sieht nach Regen aus.
Wenig später öffnet der Himmel seine Schleusen und wolkenbruch-artiger Regen ergießt sich über die nun grau wirkende Buddha-Statue. Doch der Regen ist nur von kurzer Dauer. Die Sonne teilt die Wolken und bescheint, wenn nun auch mit verminderter Kraft, die goldene Statue.
Ich sitze ihr zu Füßen und schaue nach oben in ihr Gesicht.
Das Lächeln ist verschwunden. Regenwasser hat sich in den Augenlidern gesammelt und dort festgesetzt. Ein alter Mönch hat sich neben mich gesetzt, er sieht mich an. Und er weiß, dass ich sie gesehen habe.
Buddha’s Tränen.
Autor: Dieter Bartsch